STAGING DEMOCRACY – DAS INTERVIEW ZUM STÜCK

© G2 Baraniak

Am Freitag, 15. Juni 2018, ist das große Finale des spielzeitüberdauernden Demokratie-Projekts STAGING DEMOCRACY. Das Theaterstück feiert Premiere. Mit dabei sind Hamburger Bürger*innen. Ein paar von Ihnen haben hier einige Fragen beantwortet.

Im Interview: Ulla Liedtke, Martin Elbl, Frank Krohn und Doris de Feyter

 

Warum nimmst du an dem Theaterprojekt STAGING DEMOCRACY – DAS STÜCK teil?

  • Ulla: Das Format hat mich interessiert:  Ein Theaterstück entwickelt sich unter Beteiligung einer ziemlich heterogenen Gruppe.
  • Martin: Ich verbinde sehr gerne mein politisches Interesse mit kultureller Begeisterung, im Sinne von „mit Kopf UND Herz“. Dazu habe ich schon einige Projekte mitgemacht – jetzt wurde es mal wieder Zeit!
  • Frank: Da ich sehr an zielorientierter Theaterarbeit interessiert bin, hat mich die klare Zeitstruktur mit festgelegten Aufführungsterminen sehr angesprochen.
  • Doris: Als Teilnehmerin an einer der Factories bin ich jetzt neugierig auf die szenische Umsetzung dieses Themas mit uns als Nichtschauspielern und Bürgern einer Demokratie. Außerdem habe ich Spaß an der Zusammenarbeit mit Ron und großes Vertrauen in seine Arbeit als Regisseur.

Welchen Sinn hat in deinen Augen ein Theaterprojekt über Demokratie?

  • Ulla: Es regt zum Nachdenken an. Es stellt sich die Frage, wie man persönlich zur Lage der Demokratie steht.
  • Martin: Denkanstöße geben, ungewohnte Perspektiven aufzeigen, für einen Abend (und vielleicht sogar ein bisschen mehr?) Fragezeichen setzen. Als Nebenaspekt sehe ich auch die Motivation der Akteure, sich zu engagieren und dies weiterzutragen.
  • Frank: Ach herrje, schwierige Frage. Ich finde es genauso wichtig, Theaterprojekte über diktatorische Verhältnisse zu machen.
  • Doris: Weil die Theaterbühne ebenfalls eine Plattform der Vermittlung bietet, die u.a. inspirierende, aufrüttelnde, verändernde Wirkung auf Denkprozesse der Zuschauer hat.

Wenn du auf einer Bühne stehst, was ist dann deine größte Angst?

  • Ulla: Eine Kombi aus: Lampenfieber, Text vergessen, sich blöd und hässlich fühlen
  • Martin: Persönlich: Den Text zu vergessen 😉  mich zu blamieren. Gesamt: Als Resonanz Desinteresse oder Langeweile zu ernten.
  • Frank: Äh, Angst auf einer Bühne? Ich empfinde es immer als eine wirkliche Gunst, mit einer künstlerischen Darbietung Zuschauer unterhalten zu dürfen.
  • Doris: Gar keine, ich fühle mich als Teil des Ganzen und getragen.

 

Was für ein Verhältnis hast du persönlich zur Demokratie? 

  • Ulla: Grundsätzlich glaube ich an Demokratie, sie lässt sich nur leider schwer beweisen.
  • Martin: So weit desillusioniert, dass ich den Mut nicht verliere.
    Kurzer Ausflug: Unter Demokratie verstehe ich formal/instrumentell einerseits eine Methode in Richtung „Herrschaft der Politiker mit Zustimmung des Volkes“ mit verschiedenen Prinzipien wie Menschenrechte, Gewaltenteilung etc. Andererseits ist Demokratie „normativ“ eine Lebensform, in der Ethik, Emanzipation und Partizipation eine große Rolle spielen. Mir liegt besonders am zweiten Punkt (ohne auf den ersten verzichten zu wollen). Das spiegelte sich früher im vielen Engagement in Initiativen zu Umwelt, Militarismus, Wohnungspolitik wieder. Das nahm aus beruflichen Gründen deutlich ab, prägte dann aber immer noch Ziele und Schwerpunkte meiner beruflichen Entwicklung. Eine meiner Spezialitäten ist Umsetzung von Beteiligungsprozessen (in der Stadtteilentwicklung) geworden.
    Ich bin skeptisch, ob eine Staatsform Demokratie ausreicht, um Armut und Ungerechtigkeit gegenüber z.B. wirtschaftlichen Interessen in den Griff zu kriegen. Dass Menschen aber im Prinzip lernfähig sind, Verantwortung für Gemeinschaft zu übernehmen und Gesellschaft fair zu gestalten, davon bin ich immer noch überzeugt und erlebe es auch im Kleinen.
  • Frank: Ich glaube, ich nehme sie trotz einiger Widrigkeiten als selbstverständliches gesellschaftliches „Fluidum“ wahr, das mir zumindest bis jetzt noch nicht einschneidend bei meinen Lebensentwürfen im Weg stand.
  • Doris: Ich bin glücklich, Bürgerin dieser Gesellschaftsform zu sein.

 

Warum ist Demokratie in deinen Augen die ideale Staatsform?  

  • Ulla: Die Demokratie erscheint mir grundsätzlich (wenn sie in Erscheinung tritt…) als repräsentative Möglichkeit der Interessenwahrnehmung der Bevölkerung.
  • Martin: Leicht suggestive Frage, oder? Würde ich so nicht sagen… Ein bisschen Konkurrenz mit demokratischem Sozialismus, Anarchismus oder anderen gelungenen Modellen würde sicher nicht schaden – sind aber leider nicht recht in Sicht! Mir ist die Bezeichnung auch ziemlich wurscht. Als Organisationsform von Staat und Gesellschaft sehe ich aber in Demokratie die größten Chancen, Wandel in Richtung Gerechtigkeit, Selbstbestimmung, friedliches Zusammenleben, ökologisches Wirtschaften langfristig zu erreichen.
  • Doris: Weil sie Bürgern Partizipation und Entscheidungen am politischen Geschehen ermöglicht.

 

 

Würdest du dich als ein*e politisch engagierte*r Bürger*in beschreiben? 

  • Ulla: Politisch, nein.
  • Martin: Naja, vor einigen Jahren viel eindeutiger, weil ich da weniger beruflich eingebunden war und viel Zeit für Engagement verwendet habe. Aber im Grunde ja.
  • Frank: Naja, eher „politisch interessiert“ …
  • Doris: Ja, weil ich u.a. mein Recht zu wählen verantwortungsbewusst nutze.
     

Wie ging es dir, als du das letzte Mal mit einem gewählten Politiker / einer gewählten Politikerin in einem Raum warst? 

  • Ulla: Das war am 20. März im LICHTHOF Theater: Gefühl neutral.
  • Martin: Intensivere Begegnung letztens war die Factory-Veranstaltung: Mir ging die – situationsweise – hilflose Kommunikation zwischen den beiden Gruppen bzw. Welten nach. Außerdem hatte ich dort noch zwei Gespräche mit Bürgerschaftsleuten: eines überraschend gut, eines, das meine Vorbehalte bestätigte, dass Politiker in ihrer Rolle oft sehr oberflächlich agieren. Ich schrieb der Abgeordneten anschließend eine längere Mail, bekam aber noch nicht einmal eine Standardantwort zurück …
    Mit Bezirks-/Lokalpolitikern habe ich beruflich häufiger zu tun. Da spielen Parteienzugehörigkeit oder Positionen kaum eine Rolle, sondern normaler Umgang über Inhalte.
  • Frank: „Ist ja auch nur’n Mensch“, dachte ich.
  • Doris: Bezug nehmend auf die „Demokratische Sprechstunde“ im LICHTHOF Theater machte mich die unzureichende Zeit für einen konstruktiven Austausch mit den Politikern unzufrieden.

 

Inwiefern haben deiner Meinung nach Einzelpersonen Verantwortung für die Gesellschaft im Allgemeinen? 

  • Ulla: Viele Buddhisten sehen ihre eigene persönliche Revolution als primäre Aufgabe: dadurch, dass ich mich selbst verändere, habe ich die Möglichkeit, die Gesellschaft/Welt zu ändern; als eine Art Alltags-Influencer. Das kann auch mit politischem Engagement einhergehen, muss aber nicht.
  • Martin: Na sicher, ohne individuelle Verantwortung ist Gesellschaftsutopie doch nur eine Phrase. Dabei geht’s nicht um dogmatisches Gutmenschentum: Jede/r hat meiner Meinung das Recht auf seine Widersprüche und Schwächen. Aber sich Aufgaben oder Rollen suchen, an dem er/sie Vorbild sein kann, zu einer besseren Welt motivieren, auch persönlich Energie dafür aufbringen, halte ich für absolut notwendig. Die Maßstäbe an öffentliche Positionen wie Politiker liegen höher, müssen aber auch nicht päpstlicher als der Papst sein.
  • Frank: Putin? Trump? Erdogan? Die Frage ist mir so zu unspezifisch.
  • Doris: Meiner Meinung nach haben sie eine sehr große Verantwortung, da ihnen die Bürger bei ihrer Wahl ein hohes Maß an Vertrauen zur Vertretung ihrer Interessen entgegen gebracht haben.

 

Wie würde es dir gehen, wenn du per Losverfahren ganz unverhofft zu einem politischen Amt kommst? 

  • Ulla: Ich würde 1. ernsthaft darüber nachdenken, ob ich mich dafür eignen würde (Ressort) und 2. hätte ich schon Probleme abzulehnen, weil ich es als eine Art Bürgerpflicht ansehen würde – so wie das Schöffenamt.
  • Martin: Kommt aufs Amt an! Im Prinzip würde ich mich dem stellen, außer, ich sollte dabei Macht ausüben, die ich nicht akzeptiere. Denn dann würde ich – wie schon einmal in meiner Geschichte – mich dem Dienst verweigern.
  • Frank: Hängt sicherlich vom Amt ab…
  • Doris: Ich würde mich dieser Herausforderung stellen und mein Bestes geben.

 

 

Inwiefern kann man deiner Meinung nach demokratische Prozesse, die z.B. in kleinen Gruppen wie euch als Bürgerchor funktionieren, auf eine Nation wie z.B. Deutschland übertragen? 

  • Ulla: Es wäre sicherlich interessant, wenn man zu bestimmten Themen in den Regierungsgremien eine zweite Bürgerkammer einrichten würde –  die von den Mandatsträgern dann aber bitte auch ernst genommen werden sollte.
  • Martin: Hmmm… ich sehe den Bürgerchor nur in Teilen als demokratischen Prozess an. Ich habe schon Theater gemacht, an dem wir Laienakteure deutlich mehr einbringen und mitgestalten konnten. Das ist aber keine Kritik, ich lasse mich darauf freiwillig ein und habe Vertrauen in die Leitung.
    Ich kenne aus dem Beruf ja Beteiligungsverfahren auf verschiedenen Ebenen und Größenordnungen. Das A und O ist faire und gewaltfreie Kommunikation, und die funktioniert in großen Maßstäben anders als in kleinen, logisch. Daher müssen differenzierte und jeweils angepasste Methoden eingesetzt werden. Alles mit allen auszudiskutieren, ist Quatsch. Aber ich gehe auch davon aus, dass viele Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse viel, viel mehr nach „unten“ geöffnet werden können (wie hieß es bei den Grünen: global denken – lokal handeln). Beteiligung ist kein Allheilmittel, aber sicherlich eine Infusion gegen Demokratiemüdigkeit. Die nationale Ebene sehe ich nicht als Krönung, sondern allenfalls Zwischenstadium. Demokratisch zu agieren ist langfristig europa- und weltweit wünschenswert, wenn nicht sogar überlebensnotwendig.
  • Frank: Faktisch stellt unser Bürger*innen-Chor schon einen sehr bestimmten Ausschnitt der Gesellschaft dar. Damit funktionieren viele Übertragungsprozesse eher nicht.
  • Doris: Demokratische Prozesse entstehen im möglichst strukturierten Dialog sowohl in der Politik, der Arbeitswelt und im Privatleben und gelten demzufolge auch allumfassend für eine Nation wie Deutschland.

 

 

Was ist überhaupt „demokratisch“? 

  • Ulla: Im eigentlichen Wortsinn: die Herrschaft des Volkes. Wir müssen aber feststellen, dass das so nicht zutrifft. Außerdem bezeichnen und bezeichneten sich auch Diktaturen in Gegenwart und Vergangenheit als Demokratien. Insofern: Mogelpackung.
  • Martin: Zu „formaler“ oder „wertorientierter“ Demokratie s. oben.
    Ansonsten: Sein Leben selbst bestimmen und Freiheiten ausleben, soweit es Verantwortung gegenüber Gemeinwesen zulässt. Interessen auf gleicher Ebene fair aushandeln, Armut abschaffen. Schwächeren Schutz und Bildungszugang für Alle garantieren. Ressourcen immer mit Blick auf Umweltfolgen und andere Generationen verwenden. Geduld als zentrales Kulturgut, um andere Interessen und Kulturen verstehen und aushalten zu können.
  • Frank: Dass jede/r bei allem mitmachen darf, ist ja eher illusorisch. Leichter fällt es mir, „Gelingensbedingungen“ für die  (kleine?/große?) Schwester der Demokratie, die „Freiheit“, zu formulieren: Ich bin ein echter Fan der grundgesetzlich zugesicherten Freiheiten! Aber das beantwortet die Frage nicht wirklich…
  • Doris: Volksherrschaft, Meinungsfreiheit, Wahlmöglichkeit, dennoch ein sehr umfassender, theoretischer Begriff der zufriedenstellend schwer umsetzbar und bis ins Detail zu definieren ist und im politischen Rahmen sehr unterschiedlich verstanden wird.

 

Würdest du die gemeinsame Arbeit an STAGING DEMOCRACY – DAS STÜCK als demokratisch beschreiben?

  • Ulla: Teilweise. Wir haben schon die Möglichkeit, uns inhaltlich und spielerisch einzubringen – letztendlich entscheidet aber der Regisseur, ob das passt. Was für mich persönlich auch ok ist. Wenn 20 Personen jeden Satz ausdiskutieren würden, bräuchten wir 2 Jahre statt 3 Monate für das Stück. Außerdem ist es auch interessant, von den Theaterprofis in unserem Team zu lernen.
  • Frank: Tja, bis jetzt hat es immer Mitsprache-Möglichkeiten der Bürger*innen gegeben. Mit Blick auf eine irgendwann allerdings mal fest zu zurrende Auftritts-Dramaturgie mit klar verteilten Verantwortlichkeiten sehe ich den anstehenden Zuordnungs-Prozessen durchaus gespannt (und in meinem Theatersinne hoffnungsvoll) entgegen.
  • Martin: Nur punktuell.
  • Doris: Ja.

 

Wenn die Demokratie eine Person wäre, was wären dann für dich ihre drei idealen Charaktereigenschaften? 

  • Ulla: Umsicht, Gerechtigkeit, Gleichheit.
  • Martin: Empathisch, selbstbewusst, bodenständig
  • Frank: Respekt, Gelassenheit, Humor
  • Doris: Authentizität, Teamfähigkeit, Zielorientiert

 

Und welche drei Eigenschaften beschreiben die Demokratie wie du sie tatsächlich erlebst?

  • Ulla: Egozentrik, Dogma, Distanziertheit
  • Martin: Dogmatisch, ignorant, eurozentriert
  • Frank: zivilisierter Umgang (trotz allem), Durchhaltevermögen, Karriere
  • Doris: 1. Die Politiker tun alles dafür, dass ihre Parteien immer wieder gewählt werden (Kurieren an Symptomen, Stillstand), 2. Notwendige Entscheidungen bleiben Jahrzehnte auf der Strecke, siehe die demografische Entwicklung (Renten), 3.  Lobbyismus hat Oberhand

Von und mit: Peter Czikowski / Petra Demmin / Isabella Dieterich / Martin Elbl / Doris de Feyter / Thomas Geiger / Ulf Haase / Franziska Jakobi / Ahmad Kadri / Minú Köchermann / Schima Köchermann / Frank Krohn / Paul-Louis Lelièvre / Ulla Liedtke / Stefan Moos / Monika  Reinboth / Martin Schellhorn / Imme Stolzenburg / Hannelore Tennigkeit-Cordshagen / Marianne Weller / Stefanie Wodrig / Bettina Zeuch

Regie: Ron Zimmering / Text: Dagrun Hintze / Bühne: Ute Radler / Kostüm: Benjamin Burgunder / Dramaturgie: Alida Breitag / Chorleitung: Marc Aisenbrey / Lichtdesign: Sönke C. Herm / Regieassistenz: Julia Herrgesell / Kostümassistenz: Johanna Winkler / Kostümhospitanz: Saskia Martinjas

Gefördert durch: Behörde für Kultur und Medien Hamburg, Hamburgische Kulturstiftung, Körber-Stiftung sowie aus Mitteln des Theaterpreis des Bundes.