In französischer, deutscher und portugiesischer Sprache

NO(S) REVOLUTION(S)

Von Ulrike Syha und Mickael de Oliveira

Freitag, 22.01.2016 | 20:15 Uhr
Samstag, 23.01.2016 | 20:15 Uhr

(c) Simon Gosselin

+++Achtung: Falscher Vorstellungsbeginn im gedruckten Spielplanflyer angegeben. Beide Vorstellungen beginnen um 20:15 Uhr.+++

Hier und jetzt. Vier SchauspielerInnen – zwei Franzosen, eine Deutsche, eine Portugiesin. In drei Sprachen erzählt No(s) révolution(s) Anekdoten von unterschiedlichen Zeiten und Orten. Es entsteht eine „Fiktionsrevolution“, die nach und nach real wird: Geräusche von draußen, Aufruhr, Fremdes und Vertrautes zugleich. Kein Bericht gleicht dem anderen.

Sind Gewalt und Terror vermeidbar? Muss Revolution Enttäuschung bedeuten? Was werden die künftigen und aktuellen Generationen sagen? Werden Revolutionen immer nur von Folklore, Kitsch und Tourismus beerbt? Warum hat man, wie die Historikerin Sophie Wahnich sagt, seit 1989 die Idee einverleibt, dass die Utopie und der Wunsch nach einem besseren Leben immer in Totalitarismus mündet?

Christine Rondot in „L’Est républicain“ am 8.1.2016 über die Premiere in Belfort.

„Anne Monfort réussit brillamment l’échange d’idées révolutionnaires à trois voix. (….) Ele mêle ici les textes demandés au portugais Michael de Oliviera et à l’allemande Ulrike Syha, «pour s’approprier le politique ensemble, au-delà des frontières». Pour une pièce étoffée, à contenu, qui s’écoute et se regarde, entre figures et imagerie, pensées et débats. Un exercice de démocratie aussi. Une variation contemporaine, intelligente et sobre, sur le thème «Liberté, égalité, fraternité».“

Deutsch:

„Anne Monfort meistert den dreisprachigen Austausch revolutionärer Ideen mit Bravur. (…) Sie mischt dabei die Texte, die der portugiesische Autor Mickael de Oliveira und die deutsche Autorin Ulrike Syha für sie geschrieben haben, ‚um sich gemeinsam dem Politischen anzunähern, über die Grenzen hinweg‘. Es entsteht ein umfassendes, inhaltsreiches Stück auf Bild- und Textebene, das sich zwischen Figuren und Bildassoziationen, Gedanken und Diskursen hin- und herbewegt. Es ist auch eine Übung in Demokratie. Eine zeitgenössische, intelligente Variation zum Thema „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ ohne Effekthascherei.“

Die Hamburger Autorin und Übersetzerin Ulrike Syha wurde mit vielerlei Preisen ausgezeichnet, darunter der Kleist-Förderpreis (2002), der Hamburger Förderpreis für Literatur (2010) und der Robert Gernhardt-Preis (2014). 2015 wurde ihre Kurzgeschichte Jin Mao mit dem vom rbb und Literaturhaus Berlin ausgelobten Walter Serner-Preis prämiert. Ihre Übersetzung von John Steinbecks Jenseits von Eden feiert am 17. Januar im Altonaer Theater Premiere.

Mit Claude Guyonnet, Anne Sée, Anna Schmidt und Sara Vaz

Konzept und Regie: Anne Monfort
Stückentwicklung: Mickael de Oliveira und Ulrike Syha
Konzept: Anne Monfort, Mickael de Oliveira und Ulrike Syha
Bühnenbild und Kostüme: Clémence Kazemi
Bühnenbild-Assistenz: Benjamin Sillon
Mitarbeit: Falvia Amarrurtu
Übersetzung: Marlene Knupfer und Elisabeth Schuster
Produktionshilfe: CnT

Am 23. Januar lädt der Verein der Freunde und Förderer des LICHTHOF e.V. im Anschluss an die Vorstellung zum Publikumsgespräch ein.

Gefördert von Goethe-Institut (Paris), Institut Francais (Portugal), Instituts Francais im Rahmen von Programme de Théâtre Export, 31 Juin Films, Théâtre Paris Villette, Fonds Transfabrik – Fonds franco-allemand pour le spectacle vivant, Fonds SACD Théâtre

LICHTHOF Interview mit der Autorin

„DIE HOFFNUNG AUF VERÄNDERUNG IST NATURGEMÄSS ENTHALTEN“

Ulrike Syha wurde mit vielerlei Preisen ausgezeichnet, darunter der Kleist-Förderpreis (2002), der Hamburger Förderpreis für Literatur (2010) und der Robert Gernhardt-Preis (2014). 2015 wurde ihre Kurzgeschichte Jin Mao mit dem vom rbb und Literaturhaus Berlin ausgelobten Walter Serner-Preis prämiert. Dem LICHTHOF hat sie einige Fragen zu Inhalt und Entstehung von No(s) Révolution(s) beantwortet.

LICHTHOF | Was gab den Anstoß für diese Produktion und die internationalen Zusammenarbeit? Wie hat letztere funktioniert?

Ulrike Syha | Die Regisseurin Anne Monfort hat den Anstoß für dieses Projekt gegeben. Sie kannte sowohl mich (sie hatte bereits Texte von mir ins Französische übersetzt) als auch den portugiesischen Autor Mickael de Oliveira.

Sie wollte schon länger mit uns beiden arbeiten und hatte auch schon länger geplant, einen Abend zum Thema „Europa und seine Revolutionen“ zu entwickeln. Außerdem war sie daran interessiert, die Möglichkeiten eines kollektiven Schreibprozesses auszuloten.

Mickael und ich haben uns auf das Projekt eingelassen, obwohl wir einander persönlich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kannten. Aber in den letzten zwei Jahren ist ein intensiver Austausch entstanden, bei Vorbereitungstreffen und Probenphasen an den unterschiedlichsten Orten und im engen Gespräch mit Anne Monfort und den beteiligten Schauspielern.

So kann man sagen, dass über die Zeit tatsächlich so etwas wie ein gemeinsamer Text entstanden ist, der auch den unterschiedlichen Positionen und Erfahrungen innerhalb des Ensembles Rechnung trägt.

Wie verbinden sich die französische, die portugiesische und die deutsche Revolution?

Wir haben versucht, den Begriff Revolution möglichst weit zu fassen. Das heißt, es ging uns nicht nur um die Nelkenrevolution oder um die Französische Revolution als die große historische Revolution Europas.
Wir wollten uns auch mit kleineren Bewegungen und allgemeinen revolutionären Typologien befassen und die Frage stellen, ab wann man überhaupt von einer Revolution spricht.

Wir wollten also weniger die spezifischen Elemente der einzelnen historischen Revolutionen herausarbeiten als vielmehr die verbindenden Elemente, das Übergreifende daran. Vielleicht das Zukunftsweisende.

Was machen aktuelle oder nah zurückliegende Revolutionsrealitäten außerhalb Europas mit dieser Produktion?

Sie haben in unserer Arbeit und in den Debatten naturgemäß eine große Rolle gespielt. Dass Europa eben keine „Festung“ oder „Blase“ ist, die sich gegen alle äußeren Einflüsse abschotten kann, dürfte inzwischen so gut wie jeder begriffen haben. Wir können nicht so tun, als hätten Umwälzungen andernorts einfach nichts mit uns zu tun. Denn das haben sie.

Die inhaltliche Klammer unseres Projekts waren aber eben von Anfang an die drei beteiligten Länder. Und die sind – historisch und aktuell – schon unterschiedlich genug. Wir haben das als Ausgangspunkt für unsere theatrale Recherche genommen und dann im nächsten Schritt das Persönliche in etwas Allgemeingültigeres erweitert, das auch Revolutionsrealitäten außerhalb Europas mitdenkt.

Was ist eine „Fiktionsrevolution“?

Wir haben diesen Begriff zur Hilfe genommen, um unsere Arbeitsweise zu beschreiben. Die Tatsache, dass wir zwar von historischen Prozessen ausgehen, es uns aber nicht um eine historisierte Bebilderung dieser Prozesse geht.

Im Gegenteil, wir haben oft bewusst in einzelnen Szenen Elemente aus allen drei Ländern (und dem sogenannten „Außen“) gemischt, sodass dadurch eine fiktionalisierte (aber auch verdichtete) Variante einer Revolution entsteht. Es ging uns nicht um konkrete Verortung, sondern um das Aufspüren von generellen, in allen Revolutionen wiederkehrenden Symptomatiken, Typen und Geschichten.

Liegt in der Revolution noch Hoffnung oder liegt die Hoffnung in der Revolution?

Das generelle Ziel einer Revolution ist ja die Veränderung der bestehenden Umstände. Die Hoffnung auf Veränderung ist in ihr also naturgemäß enthalten. Ob man noch an tatsächliche Veränderung glaubt, ist allerdings schon wieder eine andere Frage. Und wie diese Veränderung genau vonstatten gehen soll.

Nicht unwesentlich ist dabei auch die Frage, ob wir uns bereits in einer prärevolutionären oder gar revolutionären Situation befinden. Auch darauf findet sicher nicht jeder die gleiche Antwort, ob nun in Deutschland, Portugal oder Frankreich.

Ich persönlich denke, es kann erst zu einer wirklichen revolutionären Bewegung kommen, wenn ein Großteil oder gar eine Mehrheit der Bevölkerung eine solche Umwälzung nicht mehr als Möglichkeit, sondern als Notwendigkeit sieht. Das ist meines Erachtens in Deutschland derzeit (noch) nicht gegeben.

Aber – wie gesagt – wir in Europa können globale Umwälzungen nicht länger ignorieren, sie zeigen auch hier ihre Auswirkungen und können das Denken und das Stimmungsbild rapide verändern. Wir befinden uns definitiv an einem Punkt, an dem Entwicklungen in die unterschiedlichsten Richtungen denkbar sind.
Welchen Weg wir einschlagen können und wollen, ist auch eine Frage, die wir mit diesem Abend stellen wollen.