SPIELBETRIEB

Eva-Maria Martin

Donnerstag, 09.10.2014 | 20:15 Uhr - PREMIERE
Freitag, 10.10.2014 | 20:15 Uhr
Samstag, 11.10.2014 | 20:15 Uhr

© Marcel Weinand

Ich möchte eigentlich auf Theater in Zukunft verzichten. Raus aus dieser Bude, rein ins Leben, (…) vielleicht dabei das Leben kennen lernen und wieder zurückholen ins Theater.“   (Christoph Schlingensief)

Vor 20 Jahren gehörten die Akteurinnen zu den Mitbegründern der „Theaterwerkstatt Lichthof“. Seit dieser Zeit hat sich die Theaterästhetik radikal geändert. Theatermacher verlassen die festen Spielstätten und definieren das Verhältnis von Leben und Kunst neu.

Mit diesem Wandel beschäftigen sich fünf Frauen, die versuchen, den Spielbetrieb eines Theaters aufrecht zu erhalten. Angesichts der Fülle neuer Theaterformen führen sie einen vergnüglich – bissigen Schlagabtausch auf der Grenze zwischen Leben und Kunst.

Die Hamburger freie Theatermacherin Eva-Maria Martin arbeitete 1987-1996 in residence auf Kampnagel. Viele ihrer erfolgreichen Theaterproduktionen, z.B. „Zur Erinnerung an Deinen lieben Papa“ (1988) , „Lauter Niemand“ (1991) oder „Wildpark“ (1993), wurden zum Internationalen Sommer-Theater-Festival Hamburg eingeladen. Von 1996 bis 2011 entwickelte sie als Theaterlehrerin zahlreiche Stücke mit Jugendlichen, u.a. „Container“ mit bosnischen Kriegsflüchtlingen, „Die neue Welt” mit unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen aus Afrika, „Romeo ve Julia“ , „All Inclusive“ oder „Ich-jetzt-hier-woanders-anders“. 2012 meldete sie sich mit „Ein Dach für Kunst und Suppe“ auf Kampnagel in der Freien Szene zurück.

Ein Interview mit Regisseurin Eva-Maria Martin anlässlich dieser Produktion ist hier zu lesen.

Am Samstag, 11. Oktober, lädt der Verein der Freunde und Förderer des LICHTHOF e.V. im Anschluss an die Vorstellung zum Publikumsgespräch.

Mit Annette Andresen, Helma Demel, Harald Günther, Linde Lange, Doro Mayer-Hauth, Jörg Oswald, Monika Reinboth und Karin Romahn.

Regie & Textfassung: Eva-Maria Martin
Bühne & Kostüme: Marcel Weinand
Video: Axel Schäffler & Stefanie Ritter
Regieassistenz: Isabelle Lacour
Produktionsassistenz: Uschi  Mierzowski
Licht: Stella Manoukian

Ein Interview mit Regisseurin Eva-Maria Martin anlässlich dieser Produktion:

„DEN ZWEIFEL INSZENIEREN“


LICHTHOF | In einem ursprünglichen Ankündigungstext tauchte der Begriff ‚Guckkastenbühne‘ auf. Was hat der Guckkasten mit eurem Projekt zu tun?

Eva-Maria Martin | Wir beschäftigen uns mit den Grenzen zwischen Leben und Kunst beim Theater. Da gibt es zum einen die Grenze zwischen dem Stadtraum bzw. der Welt draußen und dem Theater. Und dann die Grenze, die man aus dem naturalistischen Theater kennt, zwischen Zuschauerraum und Guckkastenbühne, die sogenannte „Vierte Wand“. Aber natürlich ist das, was auf einer Guckkastenbühne stattfindet, schon lange nicht mehr nur naturalistisches Theater. Aristotelisches, nicht-aristotelisches, Brecht’sches, episches Theater, postdramatisches Theater, Reenactment etc. spielen auf Guckkastenbühnen. Wir beschäftigen uns nicht vornehmlich mit dieser Vierten Wand. Die Grenze, mit der wir uns beschäftigen, ist die zwischen dem festen Haus, das jetzt verwaist ist, weil der Chefdramaturg – das ist unsere Behauptung – Performances im Stadtraum favorisiert. Und jetzt sind dort die Angestellten übrig geblieben und wollen den Spielbetrieb ohne die Schauspieler mit den Zuschauern aufrecht erhalten. Das ist die kleine Rahmenhandlung. In dieser Rahmenhandlung gibt es Texte sowohl aus der Dichtung, der dramatischen Literatur, als auch aus der theatertheoretischen Literatur. Die werden gemixt. Insofern kann man sagen: Das Ganze ist ein postmodernes Theaterstück, weil es mit Zitaten und Versatzstücken arbeitet. Wenn repräsentativ gespielt wird, wird es als solches markiert. Es gibt sowohl performative Elemente, zum Beispiel am Ende, wenn die Damen ihre Rollen ablegen. Sie sind dann einfach ready mades – ältere Damen, die gerne Theater spielen.

Dazu habe ich zwei Fragen. Die eine berührt postdramatisches Theater, dem ja häufig Positionslosigkeit vorgeworfen wird. Was ist die Position der Theaterschaffenden, wenn sie sich zitierenderweise durch die Diskurse bewegen? Findet bei euch eine Positionierung statt? Das Ganze klingt ein bisschen nach der Verteidigung der Theaterbühne.

Wir stellen Fragen. Meiner Ansicht nach gelingt das am besten, wenn man verschiedene Positionen – hier performatives versus repräsentatives Theater – nebeneinander und gegeneinander in Stellung bringt. Ich finde, dass gerade in der dadurch provozierten Wahrnehmungsdifferenz die Fragezeichen aufploppen. Die Frage ist ja: Wie kriegt man gesellschaftliche Realität auf die Bühne? Das beantworten wir nicht. Diese Ästhetik der Unentscheidbarkeit, wie etwa bei Schlingensiefs „Bitte liebt Österreich!“ mit dem Banner „Ausländer raus!“ auf dem Container mit Asylanten – da wussten ja viele Wiener nicht, dass es eine Kunstaktion ist. Er hat damit den Rassismus der Wiener offen gelegt, in dem er sagte: „Das ist die FPÖ! Das ist wirklich!“ Während andere, die wussten, dass es eine Kunstaktion ist, die Sätze natürlich anders verkettet haben. Diejenigen aber, die sich nicht im Kunstdiskurs aufhalten, verketten „Ausländer raus!“ politisch. Studenten wollten das Banner herunterreißen. Passanten wiederum, die etwas gegen Asylanten haben, haben es auch politisch verkettet und den Aufruf für bare Münze genommen. Diese Unentscheidbarkeit ist natürlich schwierig. Ich weiß nicht, ob man dadurch wirklich etwas verändert. Man macht auf alle Fälle etwas sichtbar. Das finde ich sehr gut. Was man aber dadurch verändert, weiß ich nicht.

Das Stichwort ‚Sichtbarmachung‘ erinnert mich an meine zweite Frage. Du sprachst vorhin von den älteren Damen als ready mades. Wie finden die das, wenn du sagst „Ihr seid jetzt ready mades?“ Sagst du denen das überhaupt?

Natürlich.

Was heißt das für sie und für dich?

Für mich bedeutet es, dass sie damit einverstanden sein müssen, sich als ältere Damen zur Schau zu stellen. Als echte Menschen. Die Leute, die sich da so auf die Bühne stellen, müssen natürlich einverstanden sein. Das wissen die Damen und akzeptieren das. Ich bin ja auch eine ältere Dame. Wir sind ja alle ungefähr der gleiche Jahrgang. Erstens akzeptieren sie das und zweitens ist es als Ausgangspostion ganz wichtig.

Das erinnert mich an die Inszenierung MEIN GAMMELFLEISCH von Theater Plan B. Da ging es unter anderem auch über die Ausstellung von Alter. Darum, was ein alternder Körper auf der Bühne bedeuten kann. Siehst du da Verbindungen?

Die Truppe hat ja bei diesen zehn No-Gos gesagt, man sollte auf keinen Fall Experten des Alltags oder ready mades auf die Bühne bringen. Aber ich finde, genau das haben sie gemacht. Sie haben sich als alternde Künstler auf die Bühne gebracht. Insofern kann man sagen, dass es in dem Punkt eine Verbindung gibt. Hier sind es ältere Frauen, die sich fragen: „Was habe ich in meinem Leben gemacht? Kann man mit Kunst etwas erreichen? Sollte ich mich ganz woanders hinwenden?“ Nun sind wir in diesem Haus und spielen. Wir spielen Theater. Und da fragt man sich dann: Welchen Wirkungskreis hat das? Aber natürlich verbreitet sich das in der Kommunikation weiter und insofern vertreten wir eine Position, als dass wir sagen: Theater ist nicht einfach nur ein kurzweiliges Vergnügen. Wir wollen diese Grenze zwischen dem Elend draußen und diesen Damen im Theaterraum beleuchten.

Bei „Spielbetrieb“ denke ich zunächst an die von dir beschriebenen theaterästhetischen Fragen. Wie kam das Thema Flucht oder Flüchtlinge in Euer Projekt und wie behandelt Ihr es?

Dieses Thema bewegt mich persönlich. Ich frage mich, was ich Sinnvolles machen sollte und könnte, angesichts des unglaublichen Elends. Ob es eine elitäre Haltung ist, sich mit bestimmten Dingen nur im Theater zu beschäftigen. Ich verfolge, wie im Thalia und anderen Orten mit Flüchtlingen performativ gearbeitet wird. Da stößt es mir übel auf, wenn ich sehe, dass ein weißer Dramaturg, ein weißer Intendant und eine weiße Musikerin diese ganzen Lampedusa-Flüchtlinge vor sich haben. Zum Beispiel in der Kirche in St. Pauli. Ich sehe in dem Film, den es darüber gibt, dass man ihnen sagt: „Du darfst nicht so leise sprechen. Sag ganz laut, wer du bist und woher du kommst.“ Das ist so eine Stellvertretergeschichte. Auf Kampnagel habe ich eine Gruppe von Afrikanern und Deutschen gesehen, Ginstersdorfer/Klassen, die wahnsinnig gutes Theater machen. Die haben einen weißen Übersetzer. Das finde ich eine andere Geschichte. Natürlich ist die Regisseurin auch weiß, aber sie ist sich dieses Problems bewusst und im Programmheft steht dem Sinn nach: „Schwarze Leute vor einem weißen Publikum – das ist schon fragwürdig und hat schon eine rassistische Note.“ Das beschäftigt mich. Wie man dieses Thema auf eine Bühne in ein Theaterhaus bringen kann.

Und welche Formen es geben kann. Wie und wozu über Flüchtlinge im Theater sprechen? Was bewirkt es, darüber zu sprechen? Inwiefern holt man sich mit dem Thema „Flüchtlinge“ nur einen Container in die Produktion, der moralische Verantwortung und das Gefühl von Authentizität gleich mitbringt? Und gleichzeitig denke ich, dass man, wenn man Theater mit Blick auf gesellschaftliche Wirklichkeit machen möchte, genau darüber und die Repräsentation dessen nachdenken muss.

Diesen Zweifel inszenieren wir. Wir inszenieren nicht, dass man es so oder so machen sollte. Es wird als fragwürdig markiert. Wir haben lange überlegt, ob wir mit echten Flüchtlingen arbeiten sollen. Wir haben uns dagegen entschieden. Aber natürlich ist das ein gesellschaftliches Thema, das absolut relevant ist, diskutiert werden muss und eine theatrale Form finden kann.

Wie kann man überhaupt dieses Thema bzw. Menschen in einer solchen Lage im Theater besprechen, wenn das Theater selbst ein exklusiver Ort, ein weißer Raum ist?

Das ist das Problem. Diesen Raum wollte Schlingensief ja aufbrechen. Ich finde Performances im Stadtraum ja sehr gut. Auch diesen WILLI TELL. Es soll nichts gegeneinander ausgespielt werden. Aber noch mal zu diesem Thema. In einem seiner Bücher beschreibt Jean Ziegler, wie er mal in Genf mit Che Guevara im Auto gefahren ist und ihm gesagt hat, er würde gern mit ihm in den Kongo gehen, um den Schwarzen zu helfen. Da soll Che Guevara gesagt haben: „Nein. Dein Platz ist hier. Da bist du geboren. Hier ist das Gehirn des Monsters. Hier musst Du kämpfen!“ Das finde ich eine schlaue Antwort. Deswegen finde ich, wir müssen uns um unsere Sachen kümmern und uns verständigen, wie wir womit umgehen.  Uns nicht als Samariter aufspielen, Betreuung oder so eine Art – wie soll ich sagen…

Aneigung?

Aneignung, ja. Sich als so eine Art moralische Instanz für Flüchtlinge aufspielen. Das hat immer etwas von Betreuung im schlechtesten Sinne.

Die Hierarchie bleibt erhalten.

Genau, die Hierarchie bleibt erhalten. Deshalb muss man sich um seine eigenen Sachen und um die Verursacher des Elends kümmern. Das ist der Grund, weshalb keine echten Flüchtlinge bei uns auftauchen und ein solcher Umgang mit Flüchtlingen als fragwürdig ausgestellt wird.